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Frank Mantek zieht im Interview EM-Bilanz

Das Interview mit dem Sportdirektor des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber führte Michael Vater unmittelbar nach den Europameisterschaften.

Nun sind die ersten Europameisterschaften für den neuen Olympiazyklus abgeschlossen. Welches Fazit ziehen Sie als Sportdirektor des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber?
 Grundsätzlich ein sehr positives, denn unser Team, an der Spitze mit dem neuen Bundestrainer Almir Velagic hat sehr gut performt. Almir Velagic war selbst ein sehr erfolgreicher Athlet und versteht es ganz offensichtlich sehr gut die Athlet:innen und seinen Staff zu einer sehr guten leistungshungrigen Einheit zu formen und diese zu führen. Alle vertrauen ihm und auch ich als Sportdirektor habe bei ihm und dem gesamten Team ein wirklich gutes Gefühl für die Zukunft.
 
 
Gab es zu diesen Kontinentalmeisterschaften, die am Anfang der Vorbereitung auf die OS 2024 in Paris stehen Neuigkeiten bzw. Veränderungen?
 Es ist sicher bekannt, dass es durch die jahrelange Misswirtschaft des Weltverbandes für unsere Sportart durch das IOC zu einer deutlichen Reduzierung der Olympischen Gewichtsklassen und Gesamtteilnehmerzahlen gekommen ist. So wurden die Olympischen Klassen bei Männern und Frauen von jeweils sieben auf fünf und die Gesamtteilnehmerzahlen von 196 auf 120 reduziert. Zu dieser EM kamen erstmals diese neuen olympischen Gewichtsklasseneinteilungen zum Tragen.
 
 
Was heißt das für ihr Team im konkreten Fall?
Wir mussten uns mit unseren Athlet:innen selbstverständlich darauf einrichten und den Fokus eindeutig auf diese neuen Olympischen Gewichtsklassen richten. Konkret hatte das z.B. Auswirkungen auf unsere Vizeeuropameisterin Lisa Marie Schweizer, die von der 64iger Gewichtsklasse die in Tokio noch olympisch war nun in die neue Olympische Klasse bis 71 Kg aufsteigen musste. Aber auch bei den Männern hat das z.B. Auswirkungen auf unseren Ex-Europameister und 7. der OS in Tokio Nico Müller, der von seiner Stammgewichtsklasse bis 81 kg nun zwangsläufig in der 89iger Klasse starten muss. In seinem Fall haben wir von vornherein auf einen Start in Albanien verzichtet.
 
 
Das klingt ziemlich drastisch und ist sicher mit einigen Problemen verbunden?
Ja, selbstverständlich, denn so ein Gewichtsklassenwechsel kann mit all seinen Auswirkungen nicht von heute auf morgen vollzogen werden, sondern ist ein Prozess von mehreren Jahren, die wir, wie auch alle anderen Sportler:innen weltweit eigentlich nicht haben.
 
 
Mit 1x Gold, 4x Silber und 3x Bronze ist diese EM doch sehr erfolgreich verlaufen?
Diese Frage kann ich mit einem eindeutigen ja beantworten und gratuliere den Athlet:innen, einschließlich des gesamten Staff und denen zu Hause gebliebenen Betreuern und Helfern ausdrücklich und von ganzen Herzen.

Beginnen wir bei der Einschätzung mit den Frauen und speziell jener von der Vizeeuropameisterin im Olympischen Zweikampf Lisa Marie Schweizer.
Lisa Marie hat hier einen Wettkampf der Extraklasse (siehe Fotos vom Wettkampf und der Siegerehrung zur Europameisterin im Reißen) abgeliefert. Sechs gültige Versuche, alles internationale Bestleistungen in einer neuen Olympischen Gewichtsklasse und einen ganzen Medaillensatz - was will man mehr. Ihr Auftritt hier in Tirana war ganz ganz toll!

Wie schätzen Sie diese Leistung und den angesprochenen Gewichtsklassenwechsel perspektivisch Richtung Paris 2024 ein?
Ich denke, dass diese Athletin eine große Zukunft vor sich haben kann. Sie muss gesund bleiben und mit Ihrem Trainer kluge Entscheidungen treffen. Das Potential ist enorm, Ihre Technik im Reißen und Umsetzen auf sehr hohem Niveau und Ihre Resilienz top. Nun bleiben das „Ausstoßen" und das „Auswiegen" der Gewichtsklasse für das sie noch 2 Jahre Zeit hat.
 

Und was sagen Sie zur Medaille Ihrer erfahrenen Athletin Nina Schroth?
Auch Ihr gilt mein größter Respekt, denn Nina hat wiederum gezeigt, dass man Medaillenchancen, die man in solch einem Event bekommt, bedingungslos nutzen muss, wenn man am Ende etwas in den Händen halten will. Sie ist die einzige Athletin, die weder über die Bundeswehr oder Polizeisportfördergruppe gefördert wird und hat damit deutlich weniger Trainings-und Regenerationszeit zur Verfügung als der Rest des Teams.
 

Im männlichen Bereich gab es ebenfalls viel Positives zu verzeichnen.
Richtig auch hier haben wir erfreulicherweise einige Medaillen gewinnen können. Unser Athletensprecher Simon Brandhuber (siehe Foto im Reißen und zur Siegerehrung) hat hier ein dickes Ausrufezeichen gesetzt und seine Bestleistungen deutlich verbessert. Dies wurde mit dem Vize-Europameistertitel (bei gleicher Leistung wie der EM-Champion) im Olympischen Zweikampf und zwei weitere Medaillen belohnt. Aber auch Jon Luke Mau erkämpfte sich in der gleichen Gewichtsklasse im Stoßen eine weitere Silbermedaille, die für uns sehr erfreulich ist. Dieser interne Zweikampf wird uns im Laufe der weiteren Olympiavorbereitung sicher noch viele Freude und weitere Leistungssteigerungen bereiten.
 

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der anderen EM-Teilnehmer?
Etwas differenzierter. Unser EM - Debütant Raphael Friedrich, der letztes Jahr noch bei der Juniorenweltmeisterschaften eine Medaille gewann, glänzte hier mit persönlichen Bestleistungen und einem sehr couragierten Auftritt. Der Routinier Max Lang dagegen konnte nun leider zum wiederholten Male auf internationaler Bühne sein Leistungsvermögen, insbesondere im Olympischen Zweikampf bei Großereignissen nicht unter Beweis stellen. Matthäus Hofmann der in der 102er Olympischen Gewichtsklasse an den Start gehen sollte, verletzte sich im Abschlusstraining, musste die EM vorsorglich früher verlassen und wird in der kommenden Woche durch Prof. Schmitt in der Atosklinik operiert.
 
Wie beurteilen Sie das Gesamtniveau dieser ersten nacholympischen Meisterschaft?
Das sportliche Gesamtniveau hat keine wirklichen Überraschungen gebracht. Es war durch die Einordnung der Athlet:innen in die neuen reduzierten Olympischen Gewichtsklassen geprägt und hat sich auf dem bisherigen vermeintlich „Dopingfreieren“ Niveau gezeigt. Kritisch sehe ich die Rolle in unserem internationalen Kampfrichterwesen. Hier wurde zum wiederholten Male eine viel zu kleinliche Regelauslegung, ob ein Versuch gültig ist oder nicht praktiziert, sodass sogar wir als Experten, geschweige denn der Zuschauer einige Entscheidungen gar nicht mehr nachvollziehen können. Diese Entwicklung schadet meiner Ansicht nach unserer Sportart und würdigt in keinster Art und Weise die Bemühungen unserer Athlet:innen. 

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